Cover
Titel
Borders on the Move. Territorial Change and Forced Migration in the Hungarian-Slovak Borderlands, 1938–1948


Autor(en)
Waters, Leslie
Reihe
Studies in East and Central Europe (25)
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 234 S.
Preis
$ 99.00; £ 80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Fiamová, Slowakische Akademie der Wissenschaften, Institut für Geschichte

In ihrem neuen Buch beschäftigt sich Leslie Waters mit der „Bewegung“ der slowakisch-ungarischen Grenze und den daraus folgenden Migrationsbewegungen in den Jahren 1938–1948. Im Fokus stehen die Auswirkungen bekannter historischer Ereignisse auf das Alltagsleben im Grenzland: Des Ersten Wiener Schiedsspruchs im November 1938, der Gründung des Slowakischen Staates am 14. März 1939 und des darauf folgenden „Kleinen Kriegs“ zwischen der Slowakei und Ungarn sowie des Kriegsendes. Die mit dem Ersten Wiener Schiedsspruch erschaffene neue Staatsgrenze führte entlang der Linie Štvrtok na Ostrove, Bernolákovo, Galanta, Šurany, Komjatice, Vráble, Levice, Lučenec, Rimavská Sobota, Jelšava, Rožňava bis nach Košice. Die südwestlichen Gebiete der Karpatenukraine, darunter Uschhorod und Mukatschewo, verlor die Tschecho-Slowakei.

Waters beschreibt die Situation im slowakisch-ungarischen Grenzgebiet als Paradox: Erst die große Aufmerksamkeit der Obrigkeit habe zur Enwicklung unterschiedlicher Vermeidungsstrategien geführt. Ermöglicht wurden sie durch grenzüberschreitende Netzwerke und den mehrfachen Wechsel von Staats- bzw. Besatzungsbehörden in der Region. Besonderes Augenmerk legt Waters auf die Bedeutung der Grenze für Überlebensstrategien von Juden im Zweiten Weltkrieg.

Neben der Fachliteratur arbeitet Waters hauptsächlich mit Archivalien aus dem Ungarischen Staatsarchiv in Budapest und dem Archiv des United States Holocaust Memorial Museum in Washington. Auch Interviews mit Zeitzeugen und historische Presse werden zur Rekonstruktion des Alltags verwendet. Leider erschwert das Fehlen einer detaillierten Karte die Orientierung des Lesers hierbei sehr, zumal Waters die konkrete Trennlinie zwischen Ungarn und der Slowakei auch sprachlich nicht genau beschreibt.

Treibende Kraft hinter den Grenzverschiebungen und Migrationsbewegungen zwischen 1939 und 1948 waren nicht zuletzt Bemühungen der Staaten auf beiden Seiten, eine ethnisch homogene Region zu schaffen. In der Einleitung gibt Waters eine kurze Zusammenfassung der Entwicklung der Südslowakei seit 1918, wobei sie den Schwerpunkt auf die Ereignisse des Jahres 1938 legt.

Waters präsentiert ihr Material in fünf chronologischen Blöcken. Das erste Kapitel „Shifting Borders and Shifting Populations“ befasst sich mit dem Ersten Wiener Schiedsspruch vom November 1938 und den Reaktionen darauf. Die Verfasserin schildert die Situation anschaulich, doch schon hier zeigt sich ein Minus des Buches: Mehrere wichtige Werke zum Thema werden kaum rezipiert. Insbesondere betrifft dies die Ausführungen über die Deportationen von Juden aus der Slowakei in das abgetrennte Gebiet im November 1938. Weder stimmt die Zahl der Deportierten mit den neuen Forschungsergebnissen überein (S. 52) 1 noch wird die aktuelle Grundlagenliteratur zur Frage erwähnt.2

Im zweiten Kapitel „Territorial Reintegration“ beschäftigt sich Waters mit den Strategien, die Ungarn anwandte, um eine ethnische Hegemonie in der Region zu erlangen, sowie der Politik des slowakischen Staates, der seinen Anspruch auf das Gebiet nie aufgab. Zugleich rückt sie die Reaktionen der Bewohner selbst in den Blick. Unverständlich ist, warum Waters Deutschland, das eine Schlüsselrolle in den slowakisch-ungarischen Beziehungen und den unterschiedlichen Forderungen nach Grenzänderungen spielte, keine größere Aufmerksamkeit widmet. Auch ist der Verfasserin nicht zuzustimmen, dass die slowakische Regierung offizielle Ansprüche auf ungarische Gebiete (die vor 1938 nicht zur Tschechoslowakei gehörten) erhob (S. 76). Die erwähnten Angriffe auf die ungarische Minderheit in der slowakischen Presse verschwanden nach dem Sommer 1941 im Wesentlichen.3 Waters' Bewertung des „Kleinen Krieges“ zwischen dem Slowakischen Staat und Ungarn bleibt ebenfalls oberflächlich, die Entwicklung der slowakisch-ungarischen Beziehungen streift sie nur flüchtig. Stattdessen legt sie den Fokus auf die Lage der jüdischen Bevölkerung und deren Auswirkung auf die Bevölkerungsmehrheit. Überzeugend zeigt sie den Zusammenhang zwischen der antijüdischen Politik und den Bemühungen der Regierung um soziale Umverteilung und eine Wiedereingliederung des Abtretungsgebiets in den ungarischen Staat auf.

Im dritten Kapitel „War and Radicalization“ beschäftigt sich Waters mit der Zeit nach dem Angriff auf die Sowjetunion. Sie spricht wichtige Fragen der Minderheitenpolitik der Slowakei, Ungarn und der tschechoslowakischen Exilregierung an und schildert das Grenzgebiet als Ort eskalierender Judenverfolgung. Diesem Kapitel folgt der Teil „The Holocaust in the Borderland“. Im Fokus stehen hier die deutsche Besatzung Ungarns im März 1944 und die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Grenzgebiet. Den abgetretenen Gebieten schreibt die Verfasserin eine Sonderrolle im Holocaust zu: Die hier gemachten Erfahrungen seien direkt in die spätere Umsetzung der „Endlösung“ eingeflossen. Zugleich sei die „Judenfrage“ hier in spezifischer Weise mit Reformplänen der ungarischen Sozialhilfe zusammengefallen und habe auch zur Umverteilung jüdischen Eigentums an die loyale Bevölkerung geführt.

Die Wiedereingliederung des Grenzgebiets in die Tschechoslowakei – die letzte von Waters betrachtete Etappe – wird im letzten Kapitel behandelt. Nach der Rückkehr zu den Grenzen von vor 1938 bemühte sich die tschechoslowakische Regierung um eine Homogenisierung der ethnischen Struktur des Territoriums. Bevölkerungsaustausch, Zwangsmigration und Assimilation prägten die Zeit nach dem Kriegsende. Waters legt den Kontext der Veränderungen dar, mit der Situation der ungarischen Minderheit in der Tschechoslowakei nach 1945 befasst sie sich jedoch nur oberflächlich. Stärker interessiert sie sich für die Zwangsumsiedlung Tausender Ungarn aus der Südslowakei nach Tschechien in den Jahren 1946–1947. Problematisch ist dies, weil sich ihre Argumentation fast ausschließlich auf ungarische Archivquellen stützt, während sie slowakische Archivalien ignoriert. Dies führt erneut zu Ungenauigkeiten bei der Gesamtzahl der Deportierten. An anderer Stelle übernimmt Waters Angaben, für die sich keine Belege in der Forschung finden (z.B. die Behauptung, dass die Mehrheit der Mitglieder der Slowakischen Kommunistischen Partei vor 1938 Ungarn waren; S. 204).

Auch wenn die Geschichte des Territoriums nie im Zentrum der geschichtswissenschaftlichen Aufmerksamkeit stand, ist Waters' abschließende Behauptung, das Thema sei bislang weitgehend ignoriert worden, nicht haltbar. Neues bietet ihre Studie dennoch. Eine der größten Stärken des Buches liegt in seinem Fokus auf die Auswirkungen geopolitischer Veränderungen für die Grenzbevölkerung und die Art und Weise, wie diese materielle Umverteilung soziale Mobilität und Gewalt gegen Minderheiten auslöste. Anregend sind auch Waters' Ausführungen zur Loyalität, die sich in der Untersuchungsregion über Jahre hinweg mehrmals habe verändern müssen, sowie zur Nationaltreue und der „alltäglichen“ ethnischen Zugehörigkeit. Trotz eines teilweise etwas begrenzten Blicks durch die weitgehende Beschränkung auf ungarische Archivquellen und Fachliteratur sowie fehlendes Kartenmaterial bietet Leslie Waters' Studie einen gut geschriebenen Überblick über das Leben im slowakisch-ungarischen Grenzgebiet in den turbulenten Jahren 1938–1948. Auch wenn sie der slowakischen und ungarischen Fachwelt nur wenig neue Erkenntnisse eröffnet, ist die Publikation sowohl für Fachleute als auch für die breite Öffentlichkeit als Einstieg in die Beschäftigung mit diesem Thema geeignet.

Anmerkungen:
1 Frankl Michal, Země nikoho 1938. Deportace za hranice občanství [Niemandsland 1938. Deportationen über die Staatsbürgerschaftgrenzen hinaus], in: Forum Historiae 13 (2019), S. 92-115, DOI: https://doi.org/10.31577/forhist.2019.13.1.7 (28.01.2022).
2 Etwa Eduard Nižňanský, Židovská komunita na Slovensku medzi československou parlamentnou demokraciou a Slovenským štátom v stredoeurópskom kontexte [Die jüdische Gemeinschaft in der Slowakei zwischen der tschechoslowakischen parlamentarischen Demokratie und dem slowakischen Staat im mitteleuropäischen Kontext], Prešov 1999.
3 Eduard Nižňanský u.a., Slovensko-nemecké vzťahy 1938–1941 v dokumentoch. 1. Od Mníchova k vojne proti ZSSR. [Slowakisch-deutsche Beziehungen 1938–1941 in Dokumenten. Band 1: Von München bis zum Krieg gegen die UdSSR], Bratislava 2009, Dokument 339, S. 917-920; Ľubomír Lipták, 2217 dní. Slovensko v čase druhej svetovej vojny [2217 Tage. Die Slowakei während des Zweiten Weltkriegs], Bratislava 2011, S. 222-292.

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